Seit über 18 Monaten bombardiert Israel den Gazastreifen – mehr als 50’000 Menschen wurden getötet, darunter tausende Kinder. Trotz unfassbarer Kriegsverbrechen bleibt es in der Schweizer Politik still. Besonders ernüchternd: Das Schweigen von linker Seite.
Die täglichen Horrornachrichten aus Gaza reissen auch nach über 18 Monaten nicht ab. Erst letzte Woche erklärte der israelische Verteidigungsminister Israel Katz, dass Israel völkerrechtswidrig «grosse Gebiete» von Gaza besetzen werde. Ausserdem wurde ebenfalls bekannt, dass das israelische Militär ein Massaker an 15 unbewaffneten palästinensischen Sanitätern verübt hatte. Die Schweizer Politik bleibt weitgehend stumm – sogar linke Stimmen, von denen man einen Aufschrei erwarten müsste. Das ist leider kein Zufall.
Wer sich mit linken Politiker*innen über Gaza unterhält und wissen will, wieso sie das Vorgehen Israels nicht entschiedener verurteilen, erhält regelmässig die gleiche Antwort. Man könne unmöglich eine Seite einnehmen, dafür sei der Konflikt zu komplex. Diese Aussage ist einerseits sehr bequem; andererseits war sie höchstens in den Wochen nach dem 7. Oktober 2023 akzeptabel. Nach eineinhalb Jahren ist die Ausgangslage komplett anders – die Reaktion der Politiker*innen leider nicht.
Israels Politiker verstecken kaum noch, dass die Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung und Besetzung des Gaza-Streifens das eigentliche Ziel ist.
Seit dem 7. Oktober 2023 wurden in Gaza mehr als 50’000 Menschen durch die israelische Armee getötet, darunter viele Frauen und Kinder. Die militärischen Ziele Israels wurden nicht erreicht, weder besiegte man die Hamas noch befreite man alle Geiseln. Letztere wurden, wenn überhaupt, im Rahmen von Verhandlungen freigelassen. Israels Politiker verstecken kaum noch, dass die Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung und Besetzung des Gaza-Streifens das eigentliche Ziel ist. So kündigte Israel Katz, Verteidigungsminister Israels, diese Woche an, dass grosse Gebiete des Gazastreifens evakuiert würden und man dort «israelische Sicherheitszonen» schaffen würde.
Um diese Vertreibung der Zivilbevölkerung zu erreichen, greift die israelische Armee zu Kriegsverbrechen. Im März 2025 wurden 15 palästinensischen Sanitäter und Zivilschutzmitarbeiter des Roten Halbmonds sowie der UN von einer israelischen Spezialeinheit aus nächster Nähe erschossen. Die Leichen wurden anschliessend zusammen mit ihren Fahrzeugen in einem Massengrab verscharrt.
Der Anschlag vom 7. Oktober 2023 wird systematisch instrumentalisiert, um jegliche Kritik an der israelischen Politik zu delegitimieren.
Die israelische Armee behauptete, man habe Terroristen erschossen, welche sich in unmarkierten und unbeleuchteten Fahrzeugen genäherten hätten. Diese Darstellung ist nicht nur widersprüchlich zum vorgefundenen Tatort (wieso hätte sich die Armee die Mühe machen sollen, die Autos von Terroristen zu vergraben?), es gibt weiter einen überlebenden Augenzeugen sowie ein gerade veröffentlichtes Handyvideo vom Vorfall, das bei einem der getöteten Männer gefunden wurde. Dieses zeigt deutlich, dass die Fahrzeuge als Krankenwagen bzw. Feuerwehr gekennzeichnet und mit Scheinwerfern und Blaulicht beleuchtet waren.
Wie kann es sein, dass ein solches Kriegsverbrechen, wie viele andere in Gaza, praktisch keine politische Beachtung findet? Die Antwort darauf ist simpel: Der Anschlag vom 7. Oktober 2023 wird systematisch instrumentalisiert, um jegliche Kritik an der israelischen Politik zu delegitimieren – selbst dann, wenn sie sich auf dokumentierte Kriegsverbrechen oder Menschenrechtsverletzungen bezieht.
Das Sterben und die Vertreibung der palästinensischen Zivilbevölkerung und selbst Kriegsverbrechen werden mit dem angeblichen Kampf gegen die Hamas gerechtfertigt. Die universellen Menschenrechte werden so ad absurdum geführt. Israel ist international zunehmend isoliert, es ist bezeichnend, dass Israels Premierminister Benjamin Netanyahu gerade aus Ungarn abreiste und anschliessend nach Washington weiterflog.
Es bleiben ihm nur noch Verbündete wie Trump oder der rechte Quasi-Diktator Viktor Orbàn, der nicht nur den Strafbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) gegen Netanyahu ignorierte, sondern gerade die IStGH-Mitgliedschaft Ungarns beendete.
Linke Politiker*innen sind sich dieser Gefahr bewusst und halten sich ihrer eigenen politischen Karriere zuliebe beim Thema Israel und Gaza still.
Trotzdem gibt es in der Schweiz wenige politische Stimmen, die auf das Leid der Palästinenser*innen aufmerksam machen oder Israels Politik in Gaza anklagen. Denn wer Israel kritisiert, wird öffentlich von seinen in der Regel bürgerlichen Unterstützer*innen schnell als Hamas-Verharmloser*in oder Antisemit*in abgestempelt. Linke Politiker*innen sind sich dieser Gefahr bewusst und halten sich ihrer eigenen politischen Karriere zuliebe beim Thema Israel und Gaza still.
Gerade wenn die Hamas- bzw. Antisemitismus-Vorwürfe von SVP-Seite kommen, zielen sie weniger auf den Schutz jüdischen Lebens ab, sondern haben häufig einen antimuslimischen Hintergrund. Der bewusste Verzicht auf Gegenwehr ist bezeichnend für die linke Haltung im Kampf gegen (häufig antimuslimischen) Rassismus. Dieser Kampf wird nur soweit geführt, wie er die jeweiligen Politiker*innen nichts kostet.
Bevor man sich einem Vorwurf als vermeintlicher Antisemit aussetzt, lässt man sowohl die Vorkommnisse in Gaza als auch die antimuslimische Rhetorik der SVP lieber unkommentiert. Demonstrationen gegen den Krieg in Gaza werden entsprechend selten von linken Politiker*innen besucht, obwohl eine Demo eigentlich der Ort ist, an dem sich Politiker*innen am wohlsten fühlen. Aber hier werden die migrantischen Stimmen, wie so oft bei kritischen Themen, alleingelassen.
Es geht also auch, aber nicht nur, um Gaza. (Linke) Parteien müssen sich generell die kritische Frage gefallen lassen, ob sie glaubwürdig gegen Rassismus und für Menschenrechte einstehen können, wenn sie zu gewissen Fragen, die vornehmlich migrantische Schichten betreffen, bewusst schweigen, weil sie politischen Druck befürchten. Oder anders gesagt: Es ist Zeit, klar Stellung zu beziehen!
Von Nico Zürcher