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Rassismus in der Kriegsberichterstattung – von Kriegsopfern erster und zweiter Klasse

Reporter, Analysten und Beobachter des Ukraine-Kriegs unterteilen Kriegsopfer in verschiedene Klassen. Ein Gastkommentar von Emran Feroz über öffentlich offenkundigen Rassismus.

Seit mehreren Tagen dominiert die russische Invasion der Ukraine die Bericht­erstattung in aller Welt, und eine erstaun­liche Zahl von Reportern, Analysten und ander­wei­tigen Beobachtern des Krieges demon­striert offen­kun­digen Rassismus. Einer der ersten Journa­listen, der damit auffiel, war Charlie D’Agata vom ameri­ka­ni­schen Sender CBS News. In einem Bericht aus Kiew meinte er, dass die Ukraine nicht mit dem Irak oder Afgha­nistan vergleichbar sei, weil es sich um ein «europäi­sches» und «zivili­siertes» Land handele.

Mittler­weile hat sich D’Agata für seine Formu­lierung entschuldigt, doch sie war kein Einzelfall und nur ein Vorzeichen für das, was noch kommen würde. In einem Interview mit der briti­schen BBC sagte der ukrai­nische General­staats­anwalt David Sakva­relidze, dass er in diesen Tagen besonders emotional sei, weil er sehe, wie «europäische Menschen mit blauen Augen und blonden Haaren» täglich getötet werden. Dieser Satz, der in den Sozialen Medien für Entsetzen sorgte, wurde vom Inter­viewer in keiner Weise hinterfragt.

Die Geflüch­teten aus der Ukraine seien im positiven Sinne «anders». (…) hellhäutig oder weiss, christlich, «wie wir» und deshalb «zivili­sierter» als jene, die in den vergan­genen Jahren gen Europa gezogen sind (…).

Statt­dessen wurde der rassi­stische Bericht­erstat­tungs­feldzug anderswo erbar­mungslos fortge­setzt. Korre­spon­dentin Lucy Watson vom briti­schen ITV behauptete sichtlich aufge­bracht, dass es sich bei der Ukraine «nicht um ein Dritte-Welt-Land handeln würde, sondern um Europa». Deshalb sei der Krieg dort so viel schlimmer. Auch im briti­schen Daily Telegraph hiess es, der Krieg in der Ukraine sei besonders schlimm, weil die Opfer «aussehen wie wir». Andere Medien, darunter etwa franzö­sische oder sogar die englisch­spra­chige Ausgabe des katari­schen Al Jazeera, taten es ihnen gleich.

Meist wurde dasselbe impli­ziert: Die Geflüch­teten aus der Ukraine seien im positiven Sinne «anders». Sie seien hellhäutig oder weiss, christlich, «wie wir» und deshalb «zivili­sierter» als jene, die in den vergan­genen Jahren gen Europa gezogen sind, sprich, Menschen aus Afgha­nistan, Syrien oder Somalia.

Der ZDF-Korre­spondent Armin Coerper fiel damit auf, dass er meinte, im Niemandsland zwischen Polen und der Ukraine sehr viele «musli­misch ausse­hende Männer» erkannt zu haben, die separiert worden seien – womöglich sogar als Teil einer neuen Flücht­lings­route aus dem Nahen Osten.

Der Höhepunkt dieser rassi­sti­schen Scharade wurde ausge­rechnet im deutschen Fernsehen zur Prime Time erreicht. Bei Hart aber fair hatte sich am Montag eine eher homogene Runde zusam­men­ge­funden, und verbreitete fröhlich Stereotype über Geflüchtete aus bestimmten Regionen. Da sass etwa ein Gabor Steingart, der nach entspre­chender Vorlage von Frank Plasberg die Ukrainer auch zu «unserem Kultur­kreis» zuordnete und sagte: «ja, es sind Christen», und dass er sich deshalb vorstellen könnte, dass es «diesmal funktio­niert». (Das heisst, beim letzten Mal hat es nicht funktioniert?)

Gabor Steingart (links) und Hans-Lothar Domröse bei Hart aber fair. Screenshot: Das Erste

Der Mann zu seiner Rechten, der pensio­nierte deutsche Nato-General Hans-Lothar Domröse, holte noch weiter und brutaler aus. Nach seinen Worten handelt es sich bei den Geflüch­teten von 2015 zu einem grossen Teil um junge Männer, «wehrfähige, starke Männer, die eigentlich ihr Land vertei­digen sollten». Nun, so Domröse, sei ja zum Glück Gegen­tei­liges der Fall: Ukrai­nische Männer würden ihre Heimat gegen die russi­schen Truppen vertei­digen, unter anderem mit Stinger-Raketen «aus dem Keller» (sic!), während die «Frauen, Mütter und Kinder» gehen.

Bei so viel Rassismus und Ignoranz bleibt mir die Spucke weg. Wider­sprochen wurde weder Steingart noch Domröse. Statt­dessen gewann man fast schon den Eindruck, dass sich einige der Gäste (und womöglich auch Frank Plasberg selbst) an der vermeint­lichen Überle­genheit des weissen, christ­lichen Mannes, der nun seine Heimat verteidigt, regel­recht aufgeilen wollten. Der Tenor war etwa: So gehört sich das! Nicht wie bei den anderen, den musli­mi­schen Feiglingen aus irgend­einem shithole country.

Man muss sich in Anbetracht der Vielzahl der Vorfälle fragen: Zeigt sich hier nur etwas, was schon lange da war? Rutscht der Rassismus vielleicht sogar raus, weil man sich betroffen fühlt? Und warum war dies in der Vergan­genheit nicht der Fall?

Das skandalöse Gerede von «Kulturkreisen»

Entgegen vieler Behaup­tungen handelt es sich beim Ukraine-Krieg nämlich nicht um den ersten bewaff­neten Konflikt in Europa seit Ende des Zweiten Weltkrieges. Als während des Jugosla­wi­en­krieges der 1990er-Jahre ein Genozid gegen die Bosniaken verübt wurde, konnten sich nur wenige Deutsche, Briten oder Franzosen mit ihnen solida­ri­sieren – obwohl sie so aussahen wie sie. Ähnliches war auch der Fall, als Wladimir Putin die tsche­tsche­nische Haupt­stadt Grosny dem Erdboden gleich­machte und zahlreiche Menschen flüchten mussten. Auch die damaligen Geflüch­teten sahen «europäisch» aus – wenn man das überhaupt so bezeichnen will – doch sie trugen «musli­mische» Namen wie Emir oder Ramzan, und die haben, so meinen anscheinend viele bis heute, nichts mit Europa und «unserem Kultur­kreis» zu tun.

Entgegnen vieler Behaup­tungen handelt es sich beim Ukraine-Krieg nicht um den ersten bewaff­neten Konflikt in Europa seit Ende des Zweiten Weltkrieges.

Dass dieser Huntington’sche Begriff, der bereits zigfach dekon­struiert wurde, weiterhin so infla­tionär verwendet wird, ist ein Skandal für sich. Auch im Kontext des aktuellen Geschehens rund um die Ukraine blendet er viele Reali­täten einfach aus. Als Putin etwa vor einigen Jahren die Krim annek­tierte, gehörten musli­mische Krimtar­taren, über die heute kaum noch gesprochen wird, zu den grössten Opfern. Bereits 2014 kämpften viele von ihnen auf ukrai­ni­scher Seite. Der helden­hafte Präsident der Ukraine, Volodymyr Zelenskyy, ist kein Christ, sondern Jude. Anstatt diese Komple­xi­täten und die Vielschich­tigkeit des Konflikts zu thema­ti­sieren, wird ein einfaches und gefähr­liches Bild gezeichnet. Menschen werden gegen­ein­ander aufge­wogen, mitsamt ihrer Erfah­rungen, Schicksale und Traumata.

Das betrifft übrigens auch den Umgang mit der Gegen­seite. «Warum werde ich blöd angemacht? Was habe ich damit zu tun?», fragte mich letztens mein Nachbar, ein blonder, blauäu­giger Russland­deut­scher, der wohl den deutschesten Nachnamen überhaupt trägt: Schiller. Er beklagte sich über zuneh­mende Russen­feind­lichkeit in Deutschland: Er selbst werde beschimpft. Im Geschäft eines Freundes wurde randa­liert. Putin-Hitler-Vergleiche, die sich nun abermals häufen, tragen in diesem Kontext gewiss zu keiner Deeska­lation bei.

Menschen werden gegen­ein­ander aufge­wogen, mitsamt ihrer Erfah­rungen, Schicksale und Traumata.

Heldenhafte Ukrainer, feige Afghanen

Besonders hart treffen mich persönlich in diesen Tagen die Nachrichten anonymer Trolle. Norma­ler­weise prallen diese Dinge an mir ab. Als Journalist bin ich sie gewohnt, doch nun haben sie eine andere Ebene erreicht, unter anderem auch dank der Aussagen, die bei Hart aber fair fielen. Es sind Nachrichten, in denen die afgha­nische Armee mit der ukrai­ni­schen verglichen wird. Die Ukrainer seien mutig und heldenhaft, die Afghanen feige und erbärmlich. Sie konnten ihr Land nicht gegen die Taliban vertei­digen und würden nun nach Europa kommen, um hier zu verge­wal­tigen oder andere Verbrechen zu begehen. Ähnlich Töne werden angeschlagen, sobald es um den Krieg in Syrien geht.

All diese Konflikte haben völlig andere Dimen­sionen und sind noch um einiges kompli­zierter als der Krieg in der Ukraine zum gegen­wär­tigen Zeitpunkt. Dennoch sehe ich die Gesichter all jener Soldaten, die ich in den letzten Jahren in Afgha­nistan getroffen habe. Meist waren es junge Männer in meinem Alter – und sie starben zu Zehntau­senden, weil sich niemand für sie inter­es­siert hat. Sie hatten keinen Präsi­denten, der gemeinsam mit ihnen kämpfte, sondern einen korrupten, vom Westen unter­stützen Präsi­denten, der flüchtete und sie zurück­liess, als die Taliban (die im Gegensatz zu den Russen übrigens keine Ausländer sind, was den Konflikt wiederum komplexer macht) Kabul einnahmen.

Und in Syrien? Dort war die Armee ein Teil des Assad-Regimes, das Hundert­tau­sende von Menschen foltern und töten liess und nicht nur von Russland unter­stützt, sondern auch in vielen westlichen Haupt­städten hofiert wurde, unter anderem auch, um ebenjene Geflüch­teten, mit denen es – wie Gabor Steingart sagen würde – nicht funktio­niert hat, in den sicheren Tod zurückzuschicken.

Dieser Beitrag wurde auf Übermedien erstveröffentlicht.

 

  1. Leonard Halilaj

    Hammer Beitrag… aber bringt niemandem etwas… die Welt inter­res­siert sich nur noch für Lügen!!

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