Im Dezember 2020 veröffentlichte die «Basler Zeitung» (BaZ) einen Artikel mit dem Titel «70 Prozent Migranten in den Spitalbetten». Nun rügt der Presserat die BaZ wegen unkorrektem Titel und dem unsorgfältigen Umgang mit Daten.
Der von Daniel Wahl verfasste Artikel stellt die hohen Infektionszahlen im Herbst 2020 in einen Zusammenhang mit Migration. Die steigenden Infektionszahlen werden primär «Menschen aus dem Osten» sowie «Balkanrückkehrern» angelastet. Dabei zitiert die BaZ eine anonyme Pflegeperson, die feststelle, dass es sich bei den Patient*innen in den «Corona-Zimmern» mehrheitlich um Migrant*innen handle. Gemäss der Pflegefachperson hätten rund 70 Prozent der Corona-Patient*innen einen Migrationshintergrund.
Im Februar 2021 wurde beim Schweizer Presserat Beschwerde gegen den Artikel eingereicht. Beanstandet wurde, dass sich der Artikel auf eine einzige anonyme Quelle stütze, die nicht in der Lage sei, die Zahl zu verifizieren, weil bezüglich des Migrationshintergrunds der Patient*innen gar keine Zahlen erhoben würden. Zudem sei der Titel «70 Prozent Migranten in den Spitalbetten» (mittlerweile geändert) reisserisch und viel zu absolut; weiter wurde ein unsorgfältiger und «offensichtlich manipulierender» Umgang mit der Datenbasis bemängelt. So sei einerseits von «Corona-Infizierten», andererseits von «Intensivbetten» sowie von Betten auf normalen Pflegestationen die Rede. Der Artikel spiele bewusst mit unscharfen Formulierungen, so der nicht namentlich genannte Beschwerdeführer. Zudem verstosse der Artikel gegen das Diskriminierungsverbot.
Der Rechtsdienst der TX Group, zu der die BaZ gehört, wies alle Beanstandungen zurück. Der Rechtsdienst argumentiert, dass infolge des Artikels auch andere Medien auf das Thema aufgesprungen seien.
Erwägungen des Presserats
Der Presserat heisst die Beschwerde grösstenteils gut. So sei die Zahl «70 Prozent der Migranten» zum Zeitpunkt der Publikation nicht belegt gewesen. Im Artikel sei von Zahlen wie «40 Prozent der Neuansteckungen», «83 Prozent der Patienten auf der Intensivstation» in einem Nordwestschweizer Spital sowie von «70 Prozent der Corona-Patient*innen» in mehreren Basler Spitälern die Rede. Jede dieser Zahlen stütze sich auf die Aussage jeweils einer einzigen Quelle. Der Titel «70 Prozent Migranten in Spitalbetten» sei deshalb nicht nur überspitzt (was schon ein Verstoss wäre), die BaZ habe durch die Zuspitzung auch falsche Tatsachen behauptet.
«Eine Gegenüberstellung diffus umschriebener Zahlen lässt keine verlässlichen Rückschlüsse zu.»
Bezüglich des Umgangs mit Daten bestätigt der Presserat, dass tatsächlich einmal von «Neuinfektionen» ausgegangen wird, ein andermal von «Patienten auf der Intensivstation» oder allgemein von «Corona-Patienten» sowie «Patienten auf der Corona-Station». Dies hätte dazu geführt, dass Zahlen, die nicht direkt miteinander verglichen werden könnten, einander gegenübergestellt wurden. Eine solche Gegenüberstellung «diffus umschriebener Zahlen» liesse «keine verlässlichen Rückschlüsse zu». Da die Publikation zu einem Zeitpunkt stattfand, an dem die öffentliche Diskussion die Bevölkerung stark beschäftigte, sei eine erhöhte Sorgfaltspflicht notwendig gewesen.
Den Vorwurf der Diskriminierung von Migrant*innen weist der Presserat allerdings zurück. Es sei legitim, die Ansteckung von Personen mit Migrationshintergrund, etwa aufgrund von Reisen, zu thematisieren.
Der Schweizer Presserat steht der Öffentlichkeit als Beschwerdeinstanz im Zusammenhang mit der Medienberichterstattung zur Verfügung. Er stützt seine Stellungnahmen auf nationale und internationale journalismus- und medienethische Vereinbarungen ab.
(mua)