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Fasten während der Corona-Krise – so hat sich der Ramadan verändert

Ansteckungsgefahr, Lockdown, Versammlungsverbot – die Corona-Krise hat unser Leben verändert. Auch das der fastenden Musliminnen und Muslime am diesjährigen Ramadan. Leser*innen berichten.

Erva, 19

Für mich ist es am schlimmsten, dass wir uns an Iftar nicht mehr mit der ganzen Familie versammeln können. Wir können keine Leute einladen und das Taraweeh-Gebet in der Moschee beten. Das Gefühl von Gemein­schaft fehlt mir persönlich sehr. Aber es ist trotzdem schön, auch mal unter sich zu sein und sich mit dem glücklich zu schätzen, was man hat. Ich hoffe aller­dings, dass bis Bajram alles wieder etwas lockerer wird, denn was wäre Bajram ohne die Familie und ohne Verwandtenbesuche?

Valentina, 31

Ich kann Ramadan während der Krise mehr geniessen. Die Ablen­kungen von Aussen sind nicht so extrem. Ich hoffe, dass ich dadurch spiri­tuell mehr vom Ramadan profi­tieren kann.

Denis, 28

Meine Familie ist nicht wirklich religiös und fastet auch nicht an Ramadan. Lediglich der Bajram (das Fest am Ende des Ramadans) wird bei uns gefeiert – man gratu­liert und beschenkt sich, Besuch kommt vorbei.

Ich bin es also gewohnt, das Fasten abends jeweils für mich allein zu brechen. Da ich sowieso nicht oft die Moschee besuche, fehlt mir auch dies zu Zeiten der Corona-Krise nicht. Das Fasten am Ramadan besteht aller­dings nicht nur aus dem Verzicht auf Essen und Trinken – es ist ein genereller Rückzug aus dem Alltag. Denn diesen sollte man an Ramadan bewusster leben und ihn auch hinter­fragen: Was ist mir wichtig im Leben? Womit verschwende ich im Alltag kostbare Zeit? Wo könnte ich an mir arbeiten? Der Verzicht auf Essen und Trinken verschafft einem dabei nicht nur wertvolle Zeit; Hunger und Durst erinnern einen auch immer wieder an diesen ganzheit­lichen Zustand des Fastens. Fasten kann und sollte deshalb auch bedeuten, mal seinen Netflix- oder Social-Media-Konsum zu hinter­fragen, und sich zu überlegen: Gibt es Sinnvol­leres als Binge Watching, das ich mit meiner Zeit anfangen könnte?

Und hier liegt während der Corona-Krise das eigent­liche Problem: Denn obwohl die Krise eine grosse Chance für eben diesen Rückzug liefert, da sie das ganze gesell­schaft­liche Leben entschleunigt, lautet die Antwort für mich (und für viele andere Muslime und Musli­minnen) oft Nein. Nein, ich weiss nicht, was ich sonst noch mit meiner unendlich freien Zeit anfangen könnte. Der Alltag ist zum Alltagsbrei verschmolzen. Die einzelnen Tage lassen sich kaum mehr vonein­ander unter­scheiden. Ist heute Montag, Donnerstag oder schon Sonntag? Und ist das überhaupt wichtig? Ist es 13 oder bereits 16 Uhr? Einzig der Sonnen­un­tergang und die Morgen­däm­merung liefern zeitliche Anker, die mit einer festen Verpflichtung (Suhur und Iftar) einhergehen.

Anders als an anderen Ramadanen, die nicht von Home-Office und Lockdown geprägt waren, fühle ich mich dieses Jahr oft träge und nutzlos. Während ich mich früher unbesiegbar fühlte, weil ich mich nach einem anstren­genden Arbeits- und Fastentag noch zum Schwimmen aufraffte, könnte ich mittler­weile mit dem Sofa verschmelzen – und würde es nicht einmal bemerken.

Wahrscheinlich ist auch dieser Ramadan, wie jeder andere auch, das, was man aus ihm macht. Fastende weltweit sind den unter­schied­lichsten Heraus­for­de­rungen im Alltag unter­worfen, ob mit oder ohne Corona. Einige Leute werden den Ramadan besser prakti­zieren können, weil vielleicht anstren­gende Arbeit ausfällt. Andere werden sich in Sachen Selbst­dis­ziplin üben und sich selbst vom Sofa kratzen müssen. Wiederum für andere ändert sich absolut nichts. Doch wir alle haben zum Ziel, am Ramadan mehr zu reflek­tieren, mehr Nächsten­liebe und Selbst­dis­ziplin an den Tag zu legen. Der Fasten­monat dauert noch rund drei Wochen. Ich hoffe, dass mir dies im Verlauf des Monats besser gelingt.

Merita, 29

Dieser Ramadan ist definitiv anders. Doch ich versuche, mich nicht allzu sehr darauf zu versteifen, was ich jetzt alles nicht tun kann, sondern zu schauen, was in dieser spezi­ellen Situation alles möglich ist. Gerade die Corona-Krise erlaubt es uns, uns stärker für unsere Mitmen­schen zu engagieren.

Sabrina, 17

Ich bin bei uns zu Hause die Einzige, die fastet. Meine Mutter steht meinem Glauben eigentlich sehr offen gegenüber, aber dieses Jahr wollte sie mir das Fasten verbieten. Ihr zufolge sei es eine unzumutbare Situation zu fasten, wenn wir die ganze Zeit zu Hause sind. Das hat mich gekränkt.

Nach längeren Diskus­sionen hat sie das Fasten schliesslich akzep­tiert, auch wenn sie nicht überzeugt davon ist. Für mich bedeutet das, dass ich mein Fasten abends alleine breche und jemandem nahe bin, der davon gar nicht begei­stert ist. Kochen darf ich z.B. nur bis 18 Uhr, weil sonst ihr zufolge alles zu stark nach Essen riechen würde. Und wenn ich etwas lauter bin, wird meine Mutter wütend. Letztes Jahr war noch alles okay und meine Mutter unter­stützte mich sogar beim Fasten.

Aya, 23

Keine Einla­dungen zum Iftar bedeuten auch weniger Stress. 🙂

Assia, 29

Für mich persönlich hat der Lockdown nur positive Seiten. Ich kann von zu Hause aus arbeiten und muss nicht wie in den vergan­genen Jahren eine Stunde hin- und herpendeln (und zu Stoss­zeiten die Essens­ge­rüche der Pendler aushalten). Dadurch, dass man während der Pandemie so viel Zeit zu Hause verbringt, hat man auch mehr Zeit, sich mit der Religion ausein­an­der­zu­setzen, z.B. indem man im Koran liest oder Arabisch lernt. Euch allen einen schönen Ramadan!

Rijad, 17

Bei mir ist alles gleich, nur sind wir nicht mehr so viel bei Verwandten, um meine Gross­eltern vor einer Ansteckung zu schützen. Ansonsten hat sich nicht viel verändert.

Nadra, 17

Ramadan ist der Fasten­monat der Muslime. Was viele aber nicht wissen: Der Ramadan ist viel mehr als auf Essen und Trinken zu verzichten. Während dieser Zeit, umgeben von Freunden oder Familie, fühle ich mich als Muslimin mal nicht alleine. Dieses unbeschreib­liche Gemein­schafts­gefühl, von verschie­denen Alters­gruppen umgeben zu sein, die sich alle zu Tisch versammeln um gemeinsam das Fasten brechen. Das Taraweeh-Gebet, bei dem sich Musli­minnen und Muslime versammeln, Freunden «Ramadan Mubarak» wünschen, Erfah­rungen austau­schen und wo viel Gelächter erklingt – all das ist unbeschreiblich.

Doch dieses Jahr ist alles anders. Die Corona-Pandemie hat mir all das genommen. Was mir jetzt bleibt, ist meine Familie, die einzige Stütze, die ich momentan habe. Eine Qual oder eher ein Segen? Denn Ramadan ist ja der Monat der Barmher­zigkeit und der Vergebung. Darum versuchen viele Musli­minnen und Muslime während des Ramadans möglichst gute Taten zu vollbringen. Doch jetzt, wo ich ausschliesslich von meiner Familie umgeben bin, habe ich da überhaupt Gelegenheit, mit der «Aussenwelt» in Kontakt zu treten?

Die Antwort darauf lautet Ja und Nein zugleich. Denn während wir unseren Blick oft auf die Aussenwelt gerichtet haben, passiert es schnell, dass wir die Familie vernach­läs­sigen. Diesen Ramadan habe ich mir vorge­nommen, meine ganze Aufmerk­samkeit meiner Familie zu schenken.

Ich schaue zu, wie meine Mutter zum hundertsten Mal dieselben zwei Suppen zu Ramadan zubereitet. Ich beobachte meinen Vater, wie er versucht, sich an Ramadan zu einem besseren Menschen zu verwandeln, wie er meiner Mutter hilft, wie er sich beschäftigt, um nicht an die Isolation denken zu müssen. Warum den Kontakt zur Familie nicht öfters pflegen? Einfach mal die Mutter verwöhnen, das Essen zubereiten, einkaufen gehen, das Geschirr waschen? Oder mal die Nachbarn verwöhnen (die im Islam übrigens einen hohen Stellenwert haben)? Ihnen etwas von der Iftar-Mahlzeit vorbei­bringen oder einfach mal einen Kuchen für sie backen?

Abgesehen davon bin ich dieses Jahr einfach mal allein mit mir selbst, ohne Schule, ohne Freunde, und ohne jedes Mal dieselben Fragen beant­worten zu müssen («Nein, auch nicht Wasser!»).  Ich denke darüber nach, wie ich zu mir selbst stehe, und wie es mit meinem inneren Frieden aussieht. Ich glaube fast schon ein wenig, dass die Isolation der Schlüssel für eine bessere Beziehung zu allem ist – zu meiner Familie, zu meinen Freunden, zu mir selbst und für meine Beziehung zu Gott. Und auch wenn ich in dieser Zeit nicht von unbeschreib­lichem Durst, Anstrengung und Hitze begleitet werde, bleibt der Wert vom ersten kalten Schluck Wasser, nach welchem ich mich den ganzen Tag über gesehnt habe, unbeschreiblich. In diesem Sinne: Ramadan Mubarak!

Dilara, 17

Ich finde es schade, dass die Iftar-Essen dieses Jahr nicht statt­finden. Man kann auch nicht mehr in der Moschee beten und sein Fasten mit allen anderen gemeinsam brechen. Alles findet im kleinen Kreis statt. Norma­ler­weise lädt man an Iftar immer Leute zu sich nach Hause ein oder man ist selbst irgendwo einge­laden. Dieses Beisam­mensein fehlt mir sehr. Auch das Fasten an sich fällt mir schwerer, weil ich die ganze Zeit zu Hause bin und nichts zu tun habe.

Lena, 22

Ich bin zum Islam konver­tiert und breche das Fasten unter der Woche sowieso meist alleine, also eigentlich ist alles wie immer. Nur die Treffen in der Moschee fehlen mir. Das Gemein­schafts­gefühl ist in der Krise kleiner.

Büsra, 27

Dass wir die Familie zum Iftar nicht einladen können, ist traurig. Ansonsten hat sich aber nicht viel verändert. Ich finde im Ramadan nach wie vor Frieden – ob mit oder ohne Corona. 🙂

 

Du weisst nicht, was Begriffe wie «Iftar» oder «Eid» bedeuten? Keine Sorge, Ramadan-Kenner Steph gibt Nachhilfe.

 

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