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Die UNRWA-Unterstützung bleibt, doch die Debatte ist noch lange nicht vorbei

Der Ständerat stimmte gestern über die Einstellung der UNRWA-Beiträge ab. Eine Annahme der Motion hätte zu einer zusätzlichen Destabilisierung der Situation in Gaza geführt, wie selbst der Bundesrat warnte. Zum Glück wurde die Motion abgelehnt, aber gewonnen ist noch nichts – eine kurze Auslegeordnung.

Man kann den Befür­wortern der Motion nicht vorwerfen, sie hätten nicht alles versucht. Wie der Tages­an­zeiger berichtete, versuchte die israe­lische Botschaf­terin Ifat Reshef persönlich in den letzten Tagen Stände­rats­mit­glieder davon zu überzeugen, die Zahlungen einzu­stellen. Dies mit solcher Vehemenz, dass SP-Stände­rätin Franziska Roth das Gespräch mit der Botschaf­terin aufgrund deren aufdring­lichen Tons abbrechen musste. Dass sich Botschafter fremder Länder derart offensiv in einhei­mische Parla­ments­ge­schäfte einmi­schen, ist durchaus bemer­kenswert und zeugt von einem seltsamen Demokratieverständnis.

Am Tag der Abstimmung wurde ausserdem der aktuelle Antise­mi­tismus-Bericht des SIG und der GRA veröf­fent­licht. Ob man an solche Zufälle glauben will oder nicht – es führte dazu, dass der General­se­kretär des Schwei­ze­ri­schen Israe­li­ti­schen Gemein­de­bunds (SIG), Jonathan Kreutner, gegenüber 20 Minuten festhalten durfte, dass es «im radikal propa­lä­sti­nen­si­schen Lager, dem sich teils auch musli­mische Menschen zuordnen, zu mehr antise­mi­ti­schen Grenz­über­schrei­tungen kommt».

Die Botschaft sollte für alle verständlich sein: Wer Gaza und die Palästinenser*innen unter­stützt, unter­stützt ein Stück weit auch immer den Antise­mi­tismus. Auch die NZZ und der Tages­an­zeiger berich­teten viel ausführ­licher als noch vor einigen Wochen anlässlich der minde­stens ebenso bedeu­tenden Grund­la­gen­studie zum Thema antimus­li­mi­scher Rassismus in der Schweiz.

Die Botschaft sollte für alle verständlich sein: Wer Gaza und die Palästinenser*innen unter­stützt, unter­stützt ein Stück weit auch immer den Antisemitismus.

Am Schluss wurde die Motion von David Zuber­bühler mit 25 zu 19 Stimmen bei einer Enthaltung im Ständerat abgelehnt. Lediglich die SVP-Ständeräte befür­wor­teten die Motion geschlossen, während linke und grüne Ständeräte die Motion ablehnten – Ausnahme war SP-Ständerat Daniel Jositsch, der sich nicht zum ersten Mal politisch von seiner Partei distanzierte.

Die Strei­chung hätte jeder Grundlage entbehrt. Die Anschul­di­gungen an die UNRWA, sie würde mit der Hamas zusam­men­ar­beiten, waren von der prois­rae­li­schen Lobby­or­ga­ni­sation UN Watch und der israe­li­schen Armee erhoben worden. Konkrete Beweise wurden praktisch keine vorgelegt; später kam eine UN-Unter­su­chung unter der Leitung der ehema­ligen franzö­si­schen Aussen­mi­ni­sterin Catherine Colonna zum Schluss, dass es keine Beweise für die Vorwürfe gab – dennoch blieben sie in den Köpfen vieler Parlamentarier*innen hartnäckig bestehen.

Der Kampf der SVP gegen Antise­mi­tismus ist vor allem ein Kampf gegen Muslim*innen, es geht der Partei nicht wirklich um die Sicherheit von jüdischen Menschen.

Dass sich ausge­rechnet die SVP als Kämpferin gegen Antise­mi­tismus aufspielt, ist darüber hinaus schon fast ironisch. Als letztes Jahr in Zürich ein ortho­doxer Jude bei einer antise­mi­ti­schen Messer­at­tacke schwer verletzt wurde, hatte sich die SVP als einzige Partei gegen Präventions­massnahmen ausge­sprochen. Der Kampf der SVP gegen Antise­mi­tismus ist vor allem ein Kampf gegen Muslim*innen, es geht der Partei nicht wirklich um die Sicherheit von jüdischen Menschen.

Obwohl die Motion vom Tisch ist, bleibt die Lage angespannt. Der Ständerat überwies dem Bundesrat eine andere Motion, in der dieser eine Nachfol­ge­lösung für die UNRWA suchen soll. Die Entscheidung ist somit nicht aufge­hoben, sondern nur aufgeschoben.

Gleich­zeitig wurde heute ein Bericht des UNO-Hochkom­missars für Menschen­rechte veröf­fent­licht, in dem Israel Kriegs­ver­brechen vorge­worfen werden. Israel habe seine Siedlungs­ak­ti­vi­täten im Westjor­danland und in Ost-Jerusalem vom 1. November 2023 bis zum 31. Oktober 2024 massiv ausgebaut und müsse die gewaltsame Umsiedlung der palästi­nen­si­schen Bevöl­kerung sofort stoppen.

Ausserdem brach Israel am frühen Morgen die verein­barte Waffenruhe durch Luftan­griffe auf Gaza, dabei wurden gemäss palästi­ni­schen Angaben über 400 Menschen getötet. Es ist nicht zu erwarten, dass das Schweizer Parlament auf diese Handlungen ähnlich entschlossen reagieren wird wie auf die Vorwürfe gegen die UNRWA. Was einmal mehr zeigt, dass mit zweierlei Mass gemessen wird, wenn es um Gaza und Israel geht.

 

Von Nico Zürcher

  1. Oliver Steiner

    Danke für diesen gelun­genen Artikel!

  2. Michael Ferster

    Danke für diesen guten Beitrag, der das Lobbying der pro-israe­li­schen Kreise aufzeigt, was in den Mainstream-Medien natürlich verschwiegen wird. Israel weiss ganz genau, dass es im Gazastreifen — und nicht nur dort — unsäg­liche Verbrechen begeht, und versucht dies mit Lobbying und Lügen­pro­pa­ganda zu kaschieren. Nie war die UNRWA-Hilfe notwen­diger als jetzt. Die Veröf­fent­li­chung des Antise­mi­tismus-Berichts des Schwei­ze­ri­schen Israe­li­ti­schen Gemein­de­bunds just am Tag der Abstimmung im Ständerat ist sicher kein Zufall und ein Teil des Lobbying gewesen. Schade, dass sich der SIG dafür herge­geben hat.

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