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CO2-Abgaben – «12 Rappen Preisunterschied werden keinen Aufstand verursachen»

Das CO2-Gesetz bringt einen Preisaufschlag von 12 Rappen pro Liter Benzin mit sich. Aus Sicht der Gegner*innen sozial höchst ungerecht. Aber die Leute pfeifen auf weit höhere Preisunterschiede — wie ein Roadtrip von Tanke zu Tanke mit Kassensturz-Approach und Balkan-Sound zeigt. Ein Gastbeitrag von Bajour-Reporterin Adelina Gashi.

Autofahren – bald nur noch für Reiche? Denkt an arme Migrant*innenfamilien, die aufs Auto angewiesen sind! So argumen­tieren die bürger­lichen Gegner*innen des CO2-Gesetzes, über das wir am 13. Juni abstimmen. Maximal 12 Rappen mehr soll der Sprit in Zukunft kosten. Damit sollen Treibstoffimporteur*innen 90 Prozent der CO2-Emissionen kompen­sieren können. Für die Schweizer Bürger*innen mit dem kleinen Porte­monnaie finan­ziell untragbar, findet die SVP. Unabdingbar, um der fortschrei­tenden Klima­er­wärmung entge­gen­zu­wirken, sagen die SP, Grüne und die Mitte. Bis 2024 darf dieser Aufschlag bis zu 10 Rappen hoch sein. Ab 2025 sind es dann 12 Rappen. Wer ein Elektroauto fährt, ist fein raus. E‑Fahrzeuge sind nicht von der Geset­zes­än­derung betroffen.

«Dieses Gesetz trifft vor allem den Mittel­stand und Arme», sagt auch SVP-Grossrat Pascal Messerli. Besonders in der durch die Pandemie ausge­löste Krise sei das nicht vertretbar. Der Konsum von Reichen sei davon nicht betroffen, sie könnten sich teureren Sprit und teurere Flugpreise gut leisten. «Aber es sind zum Beispiel Handwerker, die mit dem Auto zur Arbeit fahren müssen oder auch Migrant*innenfamilien, die sich den Flug in die Heimat nicht mehr leisten können und benach­teiligt werden», so Messerli.

On the road

Gehen Autofahrer*innen wegen 12 Rappen Zuschlag tatsächlich auf die Barri­kaden? Haben wir bald apoka­lyp­tische Bilder wie in Frank­reich, wo die GiIets Jaunes monatelang auf die Strasse gingen, um gegen die geplante höhere Besteuerung fossiler Brenn­stoffe im Zuge der Energie­wende zu prote­stieren? Was machen Migrant*innenfamilien, denen die Sorge von SVP-Messerli gilt? Zeit für einen Selbstversuch.

Meine Schwester, die Neulen­kerin, und ich (ohne Billett) haben uns in den BMW unseres Vaters gesetzt und sind tanken gegangen. Mehr oder weniger überall in Basel.

Unsere steile These: Wenn 12 Rappen Mehrkosten zum Volks­auf­stand führen sollen, dann dürften heute beim bestehenden Angebot maximal 11 Rappen Preis­un­ter­schied gelten.

These: Wenn 12 Rappen Mehrkosten zum Volks­auf­stand führen sollen, dann dürften heute beim bestehenden Angebot maximal 11 Rappen Preis­un­ter­schied gelten.

Wir drehen Papas CD-Player auf und machen «Kassen­sturz» mit Shipi-Sound.

Die Tour beginnt in Riehen. Wir klappern als erstes die beiden Tankstellen an der Grenze zu Lörrach ab.

Diesel: 1.81
Bleifrei: 1.70

In der Tankstelle schräg vis-à-vis ist es ein wenig günstiger.

Diesel: 1.79
Bleifrei: 1.68

Der Unter­schied hier ist nicht gewaltig. Aber wie sieht es in anderen Gemeinden aus? Wir drehen um und brausen in Richtung Stadt. Ziel: Kleinhüningen.

Um das Einkaufs­zentrum Stücki stehen mehrere Tankstellen. Scheibe runter, Preis­check: Aha, wer hier tankt, spart.

Diesel: 1.67
Bleifrei: 1.62

14 Rappen weniger als in Riehen. Oha. Weiter gehts. Wir fahren die Hochber­ger­strasse ein paar Meter weiter, dort steht schon die nächste Zapfsäule. Hier gibts keine Unterschiede:

Diesel: 1.67
Bleifrei: 1.62

Gut, ab auf die Autobahn, Musik wieder aufdrehen, wir haben leider nur die CDs meines Vaters mit albani­schen Schnulzen zur Verfügung. Egal. Auf nach Muttenz, dann Pratteln.

Schock lass nach. Preis­sturz total:

Diesel: 1.56
Bleifrei: 1.52

Kein Witz. Der Diesel­preis zwischen Muttenz und Riehen unter­scheidet sich um 25 Rappen.

Und wie sieht es bei anderen Tankstellen in der Nähe aus? Wir cruisen weiter, vorbei an einem Abstim­mungs-Schild, das vor den hohen Benzin­preisen warnt. In Pratteln an der Raststätte wird die Tankstelle momentan umgebaut. Andere Pratteler Zapfsäulen enttäu­schen uns. Sie blinken unisono:

Diesel: 1.67
Bleifrei: 1.62

Dass wegen 12 Rappen fürs Klima ein Aufstand veran­staltet wird, erscheint uns nach dem kurzen Preis­ver­gleich äusserst unlogisch. Vor der billigen Tankstelle in Muttenz waren jeden­falls nicht mehr Autos als bei der 25 Rappen teureren Station in Riehen. Gilets-jaunes-mässige Proteste wegen des Benzin­auf­schlags, mit brennenden Reifen rund um die Round­abouts der Stadt, sehen wir eher nicht.

Dass wegen 12 Rappen fürs Klima ein Aufstand veran­staltet wird, erscheint uns nach dem kurzen Preis­ver­gleich äusserst unlogisch.

CO2-Gesetz – darum geht’s: In der Vorlage geht es nicht bloss um teureres Benzin, sondern um eine Total­re­vision des CO2-Gesetzes. Damit leistet die Schweiz ihren Teil für das Pariser Klima­ab­kommen von 2015, für das sie sich verpflichtet hat. Die Treib­haus­gas­emis­sionen sollen so bis 2030 gegenüber 1995 halbiert werden.

Konkret heisst das:
  • Flugticket­ab­gaben zwischen 30 bis 120 Franken. Wer aufs Fliegen verzichtet, wird dank Rückver­teilung belohnt.
  • Treibstoffimporteur*innen müssen 90 Prozent ihrer CO2-Emissionen kompen­sieren. Das bedeutet einen Preis­auf­schlag von bis zu 12 Rappen pro Liter für Benzin und Diesel.
  • Lenkungs­ab­gaben auf Heizöl und Gas werden erhöht.
  • Die CO2-Zielwerte für Neuwagen werden verschärft, damit effizi­entere Autos auf den Markt kommen.
  • Ab 2023 sollen Neubauten nicht mehr mit Gas- oder Ölhei­zungen ausge­stattet werden. 75 Prozent der CO2-Reduktion würde so im Inland erfolgen.

«Trotzdem – es wird nicht billiger, sondern teurer», so Messerli. Das CO2-Gesetz wälze das Problem auf die Bevöl­kerung ab und schaffe ausserdem ein Bürokra­tie­monster. «Man sollte vermehrt in Innovation, in Start-ups, investieren und bei energe­ti­schen Sanie­rungen mit Beloh­nungen arbeiten, statt mit Bestrafungen».

Wer klimafreundlich lebt, wird belohnt

Das CO2-Gesetz sieht ein Beloh­nungs­system vor. Die Lenkungs­ab­gaben für fossile Brenn­stoffe wie Heizöl, Gas und Kohle werden an die Bevöl­kerung und Wirtschaft zurück­ver­teilt. Etwa an Kranken­kas­sen­prämien. Der Bund rechnet vor, dass eine vierköpfige Familie, die klima­freundlich lebt, ohne fossile Brenn­stoffe heizt und ein Jahr lang aufs Fliegen verzichtet, pro Jahr 668 Franken zurück­be­kommt. 97 Franken Zusatz­kosten müsste die vierköpfige Familie durschnittlich zahlen, wenn sie viel CO2 verursacht.

Ein Drittel dieser Lenkungs­ab­gaben würde in den Klima­fonds fliessen. Ein Geldtopf, um zum Beispiel energe­tische Gebäu­de­sa­nie­rungen oder auch Ladesta­tionen für Elektro­autos in Quartieren zu finan­zieren. Unter­nehmen mit Ideen und Plänen für klima­freund­liche technische Innova­tionen, können finan­zielle Unter­stützung durch den Klima­fonds beantragen.

«Die Vorlage ist umfang­reich. Grund­sätzlich halte ich es für ein berech­tigtes Anliegen. Der Klima­fonds geht in die richtige Richtung. Aber mit anderen Punkten, wie den Preis­er­hö­hungen, bin ich nicht einver­standen», sagt Messerli dazu.

Weshalb diese 12 Rappen so eine grosse Rolle spielen, wenn den Leuten 25 Rappen Unter­schied heute schon offenbar relativ egal sind, beant­wortet Messerli damit nicht. Wir Kinder aus einer preis­be­wussten Migrant*innenfamilie, denen die Sorge der CO2-Gesetzbekämpfer*innen gilt, drehen noch ein paar Runden durch das Baselbiet und machen uns langsam auf den Heimweg. Der BMW steht wieder in der Garage. Besonders oft gefahren wird er zugege­be­ner­massen nicht. Zu wenig Parkplätze, und vor allem sind die ÖV-Verbin­dungen zu gut. Vielleicht wird er ja bald durch einen E‑BMW ersetzt. Mehr gefahren wird der vermutlich trotzdem nicht.

 

  1. Philipp Burkart

    Was ist der Unter­schied zwischen einer Migran­tEN­fa­milie und einer Migran­tIN­NEN­fa­milie? Besteht die eine nur aus Männern und die andere nur aus Frauen oder wie muss ich das verstehen?

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