Porträt Reportage

Die Sugar Mama und ihr Flüchtling — «Die Beziehung ist ein Geben und Nehmen»

Die 74-jährige Doris und der 24-jährige Ali haben eine Affäre. Sie, eine reiche Witwe aus Luzern, er, ein Flüchtling aus Afghanistan. Das Porträt einer Sugar Mama.

Wir treffen uns in einer schicken Bar in der Luzerner Altstadt. Das einzige, was ich von Doris weiss: Sie ist 74 und hat eine Affäre mit dem 24-jährigen Ali, einem Flüchtling aus Afgha­nistan. Ali ist es auch, der das Interview mit Doris arran­giert hat. Von Doris selbst kenne ich weder den richtigen Namen noch Telefon­nummer oder Wohnort. «Sie will anonym bleiben», weiss ich von Ali, und dennoch erkenne ich sie sofort, als ich beim Treff­punkt ankomme: Doris sitzt an einem Fenster­platz, das schul­ter­lange, hellblond gefärbte Haar glatt nach hinten gekämmt. Ihr Gesicht ist stark geschminkt und auffällig faltenlos, die Lippen voluminös. Sie trägt ein schwarzes, teuer ausse­hendes Kleid, auf dem Tisch liegt eine Louis Vuitton Tasche. Hätte ich ihr Alter nicht gekannt, hätte ich Doris 60 Jahre alt geschätzt.

Sie begrüsst mich herzlich und erklärt, dass es bereits nach 11 Uhr Vormittags sei und deshalb Zeit für einen Prosecco. Und dann legt sie auch schon los, beginnt von sich zu erzählen. Sie sei in der Schweiz aufge­wachsen, aus gutem Hause, Einzelkind, die Eltern Vorzeige-Schweizer, sagt Doris. «Mein Vater war der Inhaber einer grossen Fabrik. Die Karriere hatte immer oberste Priorität für ihn.»

«Die Bezie­hungen waren damals auch nicht besser als heute.»

Ihre Mutter ist damals oft mit dem Vater unterwegs und geniesst das Leben der High Society. Doch hinter der Fassade kriselt es, die Eltern streiten oft. Doris nimmt einen grossen Schluck Prosecco und fährt fort: «Ich wuchs in einer Scheinwelt auf. Meine Eltern blieben nur zusammen, weil eine Scheidung damals als Todsünde galt.» Sie glaubt, dass ihr Vater die Mutter betrogen habe, wenn er auf Geschäfts­reisen war – «Bezie­hungen waren damals auch nicht besser als heute», sagt Doris trocken.

Schnell wird deutlich, dass die 74-Jährige von Ehe oder Monogamie nichts hält. Dennoch blieb sie ihrem Ehemann stets treu. Ihre erste Affäre hat Doris erst nach seinem Tod. Das ist jetzt 13 Jahre her, damals ist Doris 61. «Natürlich war ich traurig über seinen Tod», sagt sie, «doch gleich­zeitig fühlte ich mich erleichtert und frei, und dann wiederum hat mein fortge­schrit­tenes Alter mich beschäftigt.» Sie habe sich nicht wie 61 gefühlt, die Gesprächs­themen gleich­alt­riger Freun­dinnen hätten sie gelang­weilt. «Wer redet schon gern über Kinder, AHV und Haushalt?» Doris verdreht theatra­lisch die Augen, dann lacht sie laut auf und sagt: «Ich fühlte mich jung und voller Energie! Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie viele Affären ich in den letzten 13 Jahren hatte!» Einige Köpfe drehen sich nach uns um, doch Doris, die mir ihren richtigen Namen nicht verrät, scheint das nicht weiter zu stören.

«Du kannst dir nicht vorstellen wie viele Affären ich in den letzten 13 Jahren hatte.»

Eine dieser Affären ist der 24-jährige Ali. Die beiden lernen sich in seiner Asylun­ter­kunft kennen. Dort arbeitet Doris ehren­amtlich als Helferin, hilft Flüch­tenden bei der Job- und Wohnungs­suche oder beim Ausfüllen von Formu­laren. Der 24-jährige Ali ist vor vier Jahren aus Afgha­nistan in die Schweiz geflüchtet. Doris inter­es­siert sich für das politische Geschehen und die Unter­schiede in den Kulturen. «Wir haben uns auf Anhieb verstanden und haben oft zusammen Kaffee getrunken», sagt sie. «Sein Deutsch war gut, und es war inter­essant, mit ihm über sein Leben und seine Erleb­nisse zu sprechen.»

Doch es bleibt nicht bei Themen über Politik und Kultur. Die Gespräche werden intimer und Doris erzählt Ali von ihrem Leben, spricht über Liebe und Bezie­hungen. «Es faszi­nierte ihn, wie ich in meinem Alter über diese Themen dachte», sagt Doris, und ein wenig Stolz schwingt in ihrer Stimme. «Er meinte, dass Frauen in Afgha­nistan oft jung heiraten und für den Rest ihres Lebens mit ihren Partnern zusam­men­bleiben müssten – ich erklärte ihm, dass das hier oft nicht anders sei.»

«Ich erklärte ihm, dass das hier oft nicht anders sei.»

Sie selbst ist 26 Jahre alt, als sie heiratet. Ihr Mann ist sechs Jahre älter und Besitzer eines grossen Schweizer Unter­nehmens. Schon früh habe festge­standen, wie ihr Leben aussehen würde: «Er bringt das grosse Geld nach Hause, ich kümmere mich um das Haus und die Kinder.» Und obwohl sie nie habe enden wollen wie ihre Mutter, habe sie das Spiel mitge­spielt. Um die Welt reisen und fremde Kulturen entdecken, wie sie es gern getan hätte, das sei damals nicht selbst­ver­ständlich gewesen.

Doris hält inne und macht zum ersten Mal eine lange Pause. Dann fährt sie fort: «Das Problem war, dass ich gar keine Kinder bekommen konnte.» Nachdenklich erzählt sie, wie die Nachricht sie ins Wanken gebracht habe, denn ein Kinder­wunsch sei durchaus vorhanden gewesen. Gleich­zeitig sei aber auch eine neue Hoffnung entflammt: Was, wenn sie sich nun von ihrem Mann trennen würde? Schliesslich wünschte er sich Kinder, sie konnte ihm keine schenken – eine Scheidung wäre also durchaus legitim. «Der Gedanke, nicht mehr seine Ehefrau sein zu müssen, machte mich glücklich», sagt Doris. Doch ihr Mann weigert sich, sich deswegen von ihr scheiden zu lassen. «Er hat mich wohl sehr geliebt.»

Von all ihren Affären hat sie zu Ali den grössten Alters­un­ter­schied – 50 Jahre.

Irgendwann treffen sich Doris und Ali nicht mehr in der Stadt zum Kaffee­trinken oder Essen, sondern bei ihr zu Hause. Und irgendwann geht Ali abends nicht mehr in die Unter­kunft zurück, sondern schläft bei Doris. Nach ungefähr einem Monat haben die beiden zum ersten Mal Sex. «Zwischen Ali und mir hat es sehr harmo­niert», erzählt Doris und hat offen­sichtlich kein Problem damit, offen darüber zu sprechen. Von all ihren Affären hat sie zu Ali den grössten Alters­un­ter­schied – 50 Jahre. Doch das scheint Doris nicht zu stören. «Das Alter ist bloss eine Zahl», sagt sie, wichtig sei, wie man sich fühle.

Dass das viele Leute nicht so locker sehen wie sie, das ist Doris bewusst. Und obwohl sie mehrmals betont, dass ihr die Meinung anderer egal sei, erzählt sie ihrem Umfeld nichts von ihren Affären. Sie habe keine Lust, sich bei ihren Kolle­ginnen zu recht­fer­tigen, sagt sie, das sei ihr zu anstrengend. «Die meisten würden es sowieso nicht verstehen. Für die gibt es nur die Ehe und die Monogamie. Das ist nichts für mich.»

Auch Ali macht sie von Beginn an klar, dass sie keine ernst­hafte Beziehung möchte. Sie will nicht, dass er bei ihr einzieht, möchte nicht, dass er abhängig von ihr wird. «Er soll seinen Spass mit anderen Frauen haben und ich möchte meinen Spass mit anderen Männern haben», sagt sie. Ali findet dieses Konzept zu Beginn sehr merkwürdig. Eine solche Bezie­hungsform ist ihm fremd. Dennoch lässt er sich auf die Affäre mit der 74-Jährigen ein. «Er gehört zur jüngeren Generation und sieht viele Dinge nicht so streng», erklärt Doris. «So ist er zwar religiös und glaubt an Gott, findet aber, dass jeder die Religion so leben kann, wie er will.» Doris findet das schön. «Glaube und Sex, das geht, Glaube und Polygamie, das ist kein Widerspruch.»

«Warum soll ich ihm nicht kleine Freuden machen?»

Dass viele sie als Sugar Mama bezeichnen würden, ist Doris bewusst. «Sollen sie doch, das ist in Ordnung.» Ali sei schliesslich als Flüchtling in die Schweiz gekommen und lebe von wenigen Franken pro Tag. Für sie sei es selbst­ver­ständlich, im Restaurant das Essen zu bezahlen oder die Eintritte für Museen, Konzerte oder das Theater. Auch seine Deutsch- und Sport­kurse bezahlt Doris, denn sie möchte, wie sie sagt, dass Ali eine Freizeit­be­schäf­tigung hat. Er selbst würde sie aller­dings nie um Geld bitten, die Bereit­schaft käme stets von ihr: «Ich habe genug Geld und mag Ali als Menschen. Warum soll ich ihm nicht kleine Freuden machen?»

Als ich wissen will, wie sie selbst die Beziehung benennen würde, lässt Doris sich etwas Zeit. Eine reine Sexbe­ziehung sei es nicht, sagt sie nachdenklich, sie würden sich ja schliesslich auch ausserhalb des Schlaf­zimmers treffen und Dinge unter­nehmen. «Aber wir laufen nicht händchen­haltend durch die Strassen und küssen uns in aller Öffent­lichkeit.» Doris glaubt, dass es keinen Namen oder Stempel für ihre Beziehung brauche. «Es ist einfach eine Beziehung, fertig. Und sie stimmt für Ali und mich.»

«Es ist ein Geben und Nehmen für beide.»

Die Frage, ob sie nicht Angst hat, ein Abhän­gig­keits­ver­hältnis geschaffen zu haben, wehrt Doris ab: «Da ist keine Abhän­gigkeit vorhanden», sagt sie bestimmt. Und sie fügt hinzu: «Ich nutze Alis Situation als Flüchtling nicht aus, um Sex mit ihm zu haben.» Sie wisse, dass sich Ali nicht nur des Geldes wegen mit ihr treffe. Es gebe Tage, an denen die beiden einfach nur spazieren gingen, ohne Sex zu haben, und ohne dass Doris etwas bezahlen würde. «Und wenn er mich wegen des Geldes ausnutzen würde, wäre mir das auch egal», sagt sie. Schliesslich sei sie nicht auf der Suche nach der wahren Liebe oder einer festen Beziehung. Ihr Ziel seien lediglich gute Gespräche und guter Sex mit jungen, inter­es­santen Männern. «Ali ist einer von mehreren, die mir das bieten können. Es ist ein Geben und Nehmen für beide.»

Doch was bedeutet eine so zwanglose Beziehung für die Zukunft? Und wer bestimmt, wann das Haltbar­keits­datum abgelaufen ist? Ist Ali überhaupt in der Lage da mitzu­reden? Doris lacht laut auf und sagt: «Wie froh ich bin, dass ich mir über die Zukunft keine Gedanken machen muss!» Sie und Ali hätten schon einmal darüber gesprochen. Doris sieht sich in Zukunft weiterhin mit vielen inter­es­santen Männern, glück­licher denn je. Ali sieht sich mit Frau und Kindern. Sein grosser Wunsch ist es, eine Familie zu gründen und die Liebe seines Lebens zu finden. Doris hofft für ihn, dass sein Wunsch in Erfüllung geht. Doch in erster Linie ist sie froh, dass er seine Zukunft nicht mit ihr sieht, denn dann müsste sie die Beziehung beenden. «Ernst­hafte Gefühle haben in meinen Affären keinen Platz», sagt sie.

«Ernst­hafte Gefühle haben in meinen Affären keinen Platz.»

So habe sie schon Affären beendet, weil sie spürte, dass eine Abhän­gigkeit bestand, oder weil ihr die Männer zu langweilig wurden. Die meisten Affären gehen jedoch zu Ende, weil die Männer finden, dass es an der Zeit sei, die Frau fürs Leben zu finden. «Dann wünsche ich ihnen viel Glück bei der Suche und bemit­leide sie innerlich», sagt Doris und lacht so laut, dass sich wieder einige Köpfe nach uns umdrehen.

Ich frage Doris, ob sie es nicht manchmal vermisst, nur eine Person in ihrem Leben zu haben und diese wirklich zu lieben. «Seit mein Ehemann gestorben ist, habe ich mich noch nie einsam gefühlt», antwortet sie. Im Gegenteil – die Jahre ihrer Ehe seien die einsamsten ihres Lebens gewesen. «Es erfüllt mich, dass ich nun viele Männer in meinem Leben habe, die ich treffen kann, und die mir das geben, was ich mir immer gewünscht habe.» Doris trinkt ihren Prosecco aus und pudert sich die Wangen. Sie bezahlt die Rechnung und wir verab­schieden uns vonein­ander. Dann schreitet sie mit schnellen Schritten davon. Sie trifft sich noch mit einem Mann zum Mittagessen.

 

Namen von der Redaktion geändert.
Bei den Fotos handelt es sich um Symbolbilder.

  1. ?Jonu.…es gitt scho alles. Frog mi nur ob de Ali au was mit ihre agfange het, wenn sie e normali Omi wär ohni viel Geld.…es ist ein geben und nehmen wie sies gseit het.

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